Bügeleisenhaus: Neidmasken, Taubändern und Hausmarken

Ob die Schnitzereien des Elling´ schen Hauses am Aufgang zum Haldenplatz einst farbig gefasst waren, wissen wir heute nicht. Fest steht jedoch: Das Nachbarhaus mit der Nummer 3 trug ursprünglich keinen Farbschmuck und die Farbgestaltung an Teilen der Balken wurde bei jüngsten Sanierung wieder zurückgenommen. Heute haben wir uns jedoch an die Farbgestaltung der 1970er Jahre so gewöhnt, dass wir uns ein Bügeleisenhaus ganz ohne bunte Balken gar nicht mehr vorstellen können.

Filigrane Schnitzereien am Bügeleisenhaus. Foto: Werth/Archiv des Heimatvereins Hattingen/Ruhr e.V.

Filigrane Schnitzereien am Bügeleisenhaus. Foto: Werth/Archiv des Heimatvereins Hattingen/Ruhr e.V.

Als in den 1970er Jahren das dem Manierismus zuzuordnende Fachwerkhaus von 1611 und der ca. 20 Jahre später errichtete südlich Anbau den heute bekannten Farbanstrich in gelb, rot, grün und blau erhielten, war der Urzustand weder untersucht, noch dokumentiert worden. So kann man heute besser von einer zeitgenössischen Überhöhung der Schnitzereien sprechen, als von einer Rekonstruktion des Zustandes beim Hausbau. Historische Fotos belegen, dass zumindest seit Beginn des 20. Jahrhunderts die geschnitzten Ornamente nur durch das Zusammenspiel von Licht und Schatten wirkten, nicht aber durch Farben. Farbe kam in der Fassadengestaltung nur durch Kienruß oder Holzteer für die schwarzen Balken und durch die mit Kalkmilch weiß getünchten Gefache ins Spiel.  Die meisten heute farbig überhöhten Schnitzereien finden sich am Bügeleisenhaus am Schaufachwerk zum Haldenplatz, wie z.B.:

Die Balkenköpfe
Die in der Fassade sichtbaren Enden der Deckenbalken der ersten Etage sind kunstvoll verziert und zeigen am Bau von 1611 überwiegend Blumenmotive, im jüngeren Anbau hingegen grimmig dreinblickende Schreckensmasken, die Böse abwehren sollten. Am Bügeleisenhaus findet sich eine besondere Art der Masken, die Neidköpfe, von denen einige dem Betrachter die Zunge herausstrecken. Auf diese Weise sollte der Eigentümer vor Hass, Missgunst und den bösen Blicken der Neider geschützt werden.

Das Bügeleisenhaus in den 1950er Jahren mit Blick auf die damalige Bruchstraße (heute: Große Weilstraße). Foto: Archiv des Heimatvereins Hattingen/Ruhr e.V.

Das Bügeleisenhaus in den 1950er Jahren mit Blick auf die damalige Bruchstraße (heute: Große Weilstraße). Foto: Archiv des Heimatvereins Hattingen/Ruhr e.V.

Die Saumschwelle
Die fein ausgeführten Blattmotive des waagerechten Balkens im Oberschoss des Anbaus sind einmalig in Hattingen und finden in unserer Stadt keine Wiederholung. Die Profilleiste an der Schwelle des Giebeldreiecks findet sich dagegen an den Häusern Kirchplatz 23 und Emschestraße 25 wieder.

Die Knaggen
Die Knagge ist eine hölzerne Konsole, die Lasten zwischen den Ständern und den auskragenden Deckenbalken abfangen soll. Am Bügeleisenhaus zeigen die gekehlten Knaggen von 1611 figürliche Flachschnitzereien (Weinlaub, Reben, Gänse, Ketten und Apfelringe oder andere Scheiben auf einer Schnur) und am Anbau fast barocken Ornamente (Perlenstäbe, Eichenblätter, Voluten/Schnecken). Auffallend sind die Knaggen rechts über den Saalfenstern mit ihren rot-weißen Schnitzereien: sie wurden in den 1960er Jahren entworfen und signalisieren durch ihre schlichte Formensprache „Ich bin neu und nur Platzhalter für Verlorenes“. Aus diesem Grund wurden auch 2005 die beiden nachgearbeiteten Knaggen im Giebelbereich farblos belassen – die Originale finden sich in der Ausstellung zur Hausgeschichte im Brunnenraum.

Die Innenraumknaggen
Die Knaggen vom Giebel des Elling´ schen Hauses von 1611 sind als Abwehrmasken gestaltet und im Hausinneren in der ersten Etage sichtbar. Diese historische Giebelgestaltung wurde erst um 1960 wiederentdeckt, als man den Putz von den schadhaften Wänden klopfte.

Der Türbereich am Bügeleisenhaus um 1955. Foto: Werth/Archiv des Heimatvereins Hattingen/Ruhr e.V.

Der Türbereich am Bügeleisenhaus um 1955. Foto: Werth/Archiv des Heimatvereins Hattingen/Ruhr e.V.

Die Hausinschrift
Für Hausinschriften eignete sich am günstigsten der Riegel über der Eingangstür. In einfacher Blockschrift gibt hier ein Sinnspruch Auskunft über die Datierungen und den Namen des Eigentümers. Da die geschnitzten Buchstaben schwer zu lesen sind und die damalige Sprache anders klang als heute, hier die Übersetzung:

Behüte mich Herr vor Feuer und Brand
 Wilhelm Ellings Haus bin ich genannt
Alle die mich kennen den gebe Gott
was sie mir gönnen Anno 1611

Im Originaltext steht das Wort FEWER für Feuer, den größten Feind einer Stadt voller Holzhäuser; BRANDT meint den Wundbrand, ein Krankheitsbild der Pest, die um 1600 in Hattingen und ganz Europa wütete. Andere Interpretationen sehen im FEWER das Wundfieber der Pest und im BRANDT das vernichtende Feuer – beide Deutungsversuche sind möglich.

Die Hausmarke
Ein „Merk“, wie die Hausmarke auf Plattdeutsch heißt, ist eine Kennung für Familien und ihren Besitz, die auch ohne Lesen zu können merkbar war. Mit den viel älteren germanischen Runen haben sie jedoch nichts zu tun. Die Hausmarke am Bügeleisenhaus ist als abstrakte Figur geometrischen Aufbaus gestaltet, die Personalisierung erfolgt durch die Initialen des Bauherren Wilhelm Elling. Anders als bei Wappen waren Farben der Hausmarken nicht zugeordnet; die heutige Farbgestaltung ist ein Produkt der Malerfantasie der 1970er Jahre. Hausmarken wurde bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts genutzt, als mit dem Ende der barocken Repräsentationskultur der nüchterne Stil des Klassizismus in Westfalen Einzug hielt. Erst im Historismus erlebten Hausmarken als Deko-Element für Stammbäume oder Chroniken wieder eine Renaissance.

Die Sonnenscheiben/Sonnenräder
Am Bügeleisenhaus flankieren zwei Sonnenscheiben die Hausmarke. Basierend auf dem Symbol des einfachen Kreises steht die Sonnenscheibe ursprünglich für die Sonne und verkörpert die höchste kosmische Kraft, die als Spenderin des Lichts für göttliche Weisheit und für Erleuchtung steht. Jede Scheibe erinnert an eine doppelte Fächerrosette, ein beliebtes Schmuckmotiv der Fachwerkarchitektur in der Renaissance.

Das Tauband
Neben den Runen, Wunsch- und Glückszeichen nutzte man zur Dämonenabwehr auch Tau- und Seildarstellungen, wie sie am Museum über der Eingangstür und versteckt vom Türgewände zu finden ist.

Abbundzeichen
Die Bundzeichen der Zimmerleute dienen zum schnellen und sicheren Zuordnen und Zusammensetzen der Bauteile im Verbund (oder Verband) für Fachwerk, Dachstuhl und Dachwerk. Am einigen Stellen des MBEH finden sich diese Markierungen, jedoch nicht immer mit dem passenden Gegenüber; dies deutet darauf hin, dass – wahrscheinlich nicht erst bei der Sanierung in den 1950er Jahren – Balken immer wieder getauscht und „verschoben“ wurden.

Was auch mal weiß: die Haustür am Haldenplatz 1. Foto: Archiv des Heimatvereins Hattingen/Ruhr e.V.

Was auch mal weiß: die Haustür am Haldenplatz 1. Foto: Archiv des Heimatvereins Hattingen/Ruhr e.V.

Die Haustür
Die Haustür des Bügeleisenhauses mit dem Löwenkopf als Türklopfer ist zwar schön, stammt aber aus dem 18. Jahrhundert und von einem Bauernhaus in Oberstüter. Sie wurde unten gekürzt und im Oktober 1960 hier eingesetzt. Früher konnte sie zweigeteilt werden: der untere Teil der Tür verhinderte im geschlossenen Zustand, dass streunenden Tiere ins Haus kamen, während durch den oberen Teil im geöffneten Zustand der Rauch des Herdfeuers aus dem Haus nach draußen abziehen konnte. Die Riegel der beiden Türenteile sind innen erhalten. Die geölte Holztür war in den 19780er und 1980er Jahren vollflächig weiß bzw. ockerfarben gestrichen.

Stand: 01.2021

3 Gedanken zu “Bügeleisenhaus: Neidmasken, Taubändern und Hausmarken

  1. Pingback: Hauszeichen oder Als es noch keine Straßennamen gab | AutorenBlog von Birgit Ebbert

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