Tesla-Astronauten sehen die Erde bald durch „Hattinger Augen“

In wenigen Minuten (Mittwoch, 27. Mai 2020, 22.33 Uhr MESZ) schicken die Amerikaner erstmals seit neun Jahren wieder vom Boden der Vereinigten Staaten Astronauten zur Internationalen Raumstation ISS. Möglich macht dies eine Falcon-9-Rakete von SpaceX, dem privaten Weltraumunternehmen von Tesla-Gründer Elon Musk. Wenn die beiden Raumfahrer Robert „Bob“ Behnken und Douglas Hurley im Rahmen ihrer NASA SpaceX Demo-2 Mission demnächst die Erde beobachten, sehen sie den blauen Planeten mit „Hattinger Augen“: der Beobachtungsturm der Raumstation mit seinen sieben Fenstern wurde zum Teil in Hattingen gefertigt.

Die Cupola mit Ron Garan bei der ISS-Expedition 28 im Jahr 2011. Foto: NASA, Gemeinfrei

Die Cupola mit Ron Garan bei der ISS-Expedition 28 im Jahr 2011. Foto: NASA, Gemeinfrei

Merritt Island/Atlantik. Baikonur/Syrdarja. Hattingen/Ruhr. Natürlich hinkt dieser, in die unendlichen Weiten des Weltraums entführende Dreiklang. Anders als von Cape Canaveral in Florida oder dem Kosmodrom in Kasachstan hat aus der westfälischen Hansestadt nie ein Mensch seinen Weg ins All begonnen. Aber: Aus Hattingen kommt 2010 ein wichtiger Baustein der International Space Station in den Orbit und beschert seither den ISS-Astronauten eine ausgezeichnete Rundumsicht.

Die Internationale Raumstation gilt als größtes außerirdisches Bauwerk der Menschheitsgeschichte: Ständig bemannt, bietet sie seit 1998 Astronautinnen und Astronauten aus aller Welt ein Zuhause auf Zeit im All. Viele spektakuläre Bilder aus der Raumstation werden und wurden aus der sogenannten Cupola heraus fotografiert, einem 1,5 Meter hohen kuppelförmigen Beobachtungsturm am „Tranquility“-Modul.

Kurioser Weise kommt genau an diesem US-Bauteil der ISS die Hansestadt Hattingen ins Spiel: Das Aluminiumgehäuse des „Zimmers mit Aussicht“ wurde Anfang der 2000er-Jahre von der VSG Energie- und Schmiedetechnik geschmiedet. Zunächst sollten sechs Aussichtstürme in Hattingen gefertigt werden, doch nach dem Absturz des Space Shuttles „Columbia“ 2003 reduzierte die Europäische Raumfahrt-Agentur ESA den Auftrag auf zwei. Vom Gelände der ehemaligen Henrichshütte in Hattingen wurden die tonnenschweren Zwillinge zunächst zur Endmontage nach Turin geliefert und reisten von dort 2005 in die USA weiter.

Die Cupola im LWL Industriemuseum Henrichshütte Hattingen. Foto: Lars Friedrich/Hattingen

Die Cupola im LWL Industriemuseum Henrichshütte Hattingen. Foto: Lars Friedrich/Hattingen

Eine zuvor produzierte Version der Cupola (ital. für „Kuppel“) verblieb in Hattingen: Millimeterfeine Abweichungen beim Fräsen der Fenster konnte die ESA nicht akzeptieren, der Rohling wurde Ausschussware. Die Cupola verfügt über sieben „Augen“ für eine perfekte Rundumsicht: sechs seitlich angebrachte Fenster sowie ein 80-cm-Fenster auf dem „Dach“. Fast zehn Jahre nach der Herstellung in Hattingen startete sie am 8. Februar 2010 im Rahmen der STS-130-Mission an Bord der Raumfähre „Endeavour“ zur ISS. Seither zieht sie in 400 Kilometern Höhe über die Erde.

Aktuell kann die Cupola als Leihgabe der Firma Lothar Stalter Immobilien im Rahmen der Sonderausstellung „BOOM“ im LWL Industriemuseum Henrichshütte in Hattingen bestaunt werden.

Wildkräuter statt Blumen, Acker statt Andenken: Die Gräber von 128 Zwangsarbeitern in Welper

Schätzungen gehen davon aus, dass während des Zweiten Weltkrieges insgesamt acht  bis zehn Millionen ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter im Deutschen Reich eingesetzt waren. Für Hattingen ist im Zeitraum von 1939 bis 1945 von über 10.000 ausländischen Arbeitern auszugehen (1). Ende des Zweiten Weltkrieges war demnach jeder Vierte Hattinger ein Ausländer! Kaum ein Friedhof in Hattingen, auf dem nicht Gräber der insgesamt 356 in Hattingen verstorbenen Zwangsarbeiter zu finden sind.

Hinten: der Gedenkstein, vorne die ungepflegten Grabparzellen. Foto: LRF/HAT

Hinten: der Gedenkstein, vorne die ungepflegten Grabparzellen. Foto: LRF/HAT

Allein auf dem Kommunalfriedhof in Welper wurden 122 sowjetische sowie 3 deutsche, 1 holländischer, 1 jugoslawischer und 1 polnischer Zwangsarbeiter beigesetzt. Am Ostersamstag habe ich den Friedhof besucht – und war entsetzt, in welch unwürdigem Zustand sich das dortige Kriegsgräberfeld befindet. Sehen Sie selbst:

War das Gräberfeld oberhalb der Ruhr in den letzten Jahren durchaus  gepflegt, präsentiert es sich Mitte April 2020 als wilder Acker – ohne Bepflanzung, voller Wildkräuter, teilweise mit mehr als 40 Zentimeter tiefen Löchern im Boden. Das wird nicht der Rest der Winterbepflanzung gewesen sein…

Das erste Gräberfeld im Juni 1945 auf dem Kommunalfriedhof Welper. Quelle: DE ITS 5.3.5 6.23 Arolsen Archives, 2019 

Das erste Gräberfeld im Juni 1945 auf dem Kommunalfriedhof Welper. Quelle: DE ITS 5.3.5 6.23 Arolsen Archives, 2019

In Hattingen verabschiedete die Stadtverordnetenversammlung am 21. Juni 2000 eine Resolution, in der sich die Stadt Hattingen zu ihrer Geschichte und zur politischen Verantwortung im Hinblick auf die Beschäftigung von Zwangsarbeitern bekennt. Bei der Pflege der Grabstätte für ausländische Arbeiter, die während des Zweiten Weltkrieges in der Gemeinde Welper ums Leben gekommen sind, scheint sich die Stadt dieser Verpflichtung nicht (mehr?) bewusst zu sein.

Ungepflegte Grabstätte statt ehrendes Andenken: die Gräber ausländischer Arbeiter auf dem Kommunalfriedhof in Welper. Foto: LRF/HAT

Ungepflegte Grabstätte statt ehrendes Andenken: die Gräber ausländischer Arbeiter auf dem Kommunalfriedhof in Welper. Foto: LRF/HAT

Und wie die Gräber derzeit aussehen, verstößt die Stadt hier auch gegen das Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft (Gräbergesetz) vom 1. Juli 1965. Dieses dient, wie es in der Novellierung aus dem Jahr 2012 heißt, „dazu, der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in besonderer Weise zu gedenken und für zukünftige Generationen die Erinnerung daran wach zu halten, welche schrecklichen Folgen Krieg und Gewaltherrschaft haben“. 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges gelingt dies – zumindest in Welper – auf keinen Fall.

Ich habe umgehend  die Stadt Hattingen um schnellstmögliche Abhilfe gebeten und den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.  über den in meinen Augen unhaltbaren Zustand  informiert. Schon am Ostermontag hat sich Bürgermeister Dirk Glaser gemeldet – er will der Sache nachgehen!

Quelle:
(1) Thomas Weiß, Zwangsarbeit in Hattingen, Hattingen 2008

Plakativ, platt und reichlich unpassend

Aus der Hattinger Heimatzeitung am 3. Dezember 2019.

Aus der Hattinger Heimatzeitung am 3. Dezember 2019.

💶 Heute, am 3. Dezember 2019, geht es ab 15 Uhr bei den Etatberatungen im Hattinger Rathaus ums Geld, um die Zukunft und ums Klima. Alle derzeitigen und künftigen Bemühungen zum Klimaschutz in Hattingen sind zu begrüßen – im Großen wie im Kleinen. Wenn sinnvolle Klimaziele zügig umgesetzt werden, umso besser! Gut, dass SPD Hattingen und Grüne Hattingen dafür jetzt aufs Tempo drücken. Und wenn beim Etat 2020 zu Gunsten eines verbesserten Klimas umgeschichtet werden kann, darf und muss das so sein.

🏛 Wahrscheinlich ist der Antrag der CDU Hattingen, nächstes Jahr 20.000 Euro für Ehrenmale und Gedenkstätten bereitzustellen, angesichts dringenderer Probleme zu hoch gegriffen. Sicher wird man sachlich priorisieren können, welche Mahnmale vorrangig gesichert werden müssen, um die Hälfte der Summe fürs Klima umzuschichten. Die Restsumme ist vielleicht über Zuschüsse der Bezirksregierung zur Sanierung von Kriegergräbern zu bekommen. Oder von Sponsoren, die eher in den Denkmalschutz investieren als in Klimaschutz.

🗞 In diesem Zusammenhang zitiert Ulrich Laibacher in der WAZ Hattingen und Sprockhövel heute den Fraktionsvorsitzende der Hattinger SPD mit den Worten: „Wir sollten in die Zukunft denken, nicht in die Vergangenheit.“

👎 Ich finde, dass diese Formulierung – keine zwei Wochen nach Ende der zweiten Hattinger Gedenk- und Aktionswoche für Toleranz und Demokratie gegen das Vergessen – sehr plakativ, zu platt und reichlich unpassend.

🧐 Selbstverständlich müssen wir nach vorne schauen – nicht nur beim Klimaschutz. Aber erst der Blick in die Vergangenheit lässt uns die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten! Die Erhaltung von Mahn- und Gedenkstätten muss eine Kommune vorurteilsfrei und ohne falsche Rücksichtnahme auf den Zeitgeist (sich) leisten – genau wie den Klimaschutz.